SCHÖNE NEUE WELT DES BANKING - SERIE ZUR DIGITALISIERUNG: INTERVIEW MIT MARIUSZ-CYPRIAN BODEK (27 UND SCHLUSS)

„Ein klassischer Geschäftsmodellauftrag“

Der Leiter des KPMG Digital Hub über digitale Transformationen, deren Hürden und den Sinn von Plattformen

Gerade im Zinstief bringen die Digitalisierung und der Trend zum Plattform-Banking einen „klassischen Geschäftsmodellauftrag“ für Banken mit sich, wie Mariusz C. Bodek, Leiter des KPMG Digital Hub, meint. Die in manchen Studien von Beratern entworfenen Dystopien teilt er jedoch nicht.

Börsen-Zeitung, 30.10.2019

Herr Bodek, wir haben mehrere Jahre Digitalisierungsbemühungen der Banken gesehen. Wo steht die Branche derzeit?

Die Branche ist über die Phase der Pilotierung hinaus, und man spürt, dass das grundsätzliche Verständnis der Tragweite der Digitalisierung in allen Köpfen angekommen ist. Die Frage ist jetzt: Was macht man aus den Erkenntnissen der vergangenen Jahre?

Wie ist Ihr Eindruck?

Positiv zu bewerten ist, dass es Leuchtturmprojekte gegeben hat. Sei es durch eine Digitalisierung von Teilbereichen von Geschäftsmodellen oder auch ein Neudenken ganz anderer Geschäftszweige.

Auch durch Inkubatoren?

Diese sind eher ein mechanisches Vehikel, um so etwas zu generieren. Es gibt Banken, die begonnen haben, neben ihrer Kernorganisation Vehikel aufzubauen, um sich auszuprobieren und Dinge zu testen. Die Herausforderung aber ist die gleiche geblieben, nämlich die Kernorganisation zu transformieren. Da lautet jetzt die Frage, wie man die bisherigen Erkenntnisse in eine Organisation transportiert, die Tausende von Mitarbeitern umfassen kann. Das ist eine Komplexität, die noch nicht jede Bank durchdrungen hat. Da mag es vorbildliche Beispiele geben. Es gibt in Deutschland aber auch Fälle von Banken, die noch nicht den Schritt vom Ausprobieren zur digitalen Transformation des Kerngeschäfts geschafft haben.

Handelt es sich dabei vor allem um kleine Banken, weil diesen die Mittel fehlen?

Nein. Vielmehr hat die schiere Größe einer Bank manchmal den Malus, dass es zu viele Felder gibt, die sie für eine Transformation konzertieren müssen. Kleine Banken sind dann gegebenenfalls deutlich schneller. Es gibt etwa Direktbanken, die sich in den vergangenen Jahren unglaublich gut transformiert haben und eine Vorreiterrolle eingenommen haben, die aber auch über eine überschaubare Mitarbeiteranzahl verfügen. Da ist die Komplexität im Verhältnis zu manchen Großbanken geringer. Ich glaube, dass der Erfolg immer noch vom Committment des Top-Managements abhängt. Wer auf diesem Level Digitalisierung als vom Himmel gefallenen Satelliten betrachtet, dem wird es schwerfallen, diese aufs Tagesgeschäft zu projizieren.

Wie geht man den Wandel denn nun am besten an?

Das ist eine klassische Strategieaufgabe: Ich habe eine Transformation vor der Brust, die muss ich in verdauliche Scheiben schneiden und diese Scheibchen mit meinem Tagesgeschäft, meinem Organigramm oder meiner Strategie in Einklang bringen. Die große Herausforderung der Banken momentan ist, dass dort derzeit sowieso Strategieprogramme oder ganze IT-Transformationen laufen. Da noch die Digitalisierung draufzupacken oder zu integrieren, ist eine Riesenaufgabe, die manche Banken auch scheuen.

Was sind dabei die größten Hürden?

Ich glaube, es beginnt bei der Komplexität. Die Banken wissen aus ihrer Erfahrung mit vielen regulatorischen Neuerungen, wie komplex solche Vorhaben sind, und die Digitalisierung hat ja nicht nur die technologische Seite, sondern betrifft in vielfältiger Weise noch andere Bereiche. Sie müssen beispielsweise auch die Kultur und die Modelle der Zusammenarbeit transformieren. Sie müssen die Mitarbeiter mit auf die Reise nehmen und ihnen erklären, was da überhaupt passiert. Gleichzeitig verändern sich Verwendungsmöglichkeiten für Mitarbeiter, die man infolge von Automatisierung in ihren bisherigen Bereichen nicht mehr benötigt, für die aber in anderen Bereichen neue Verwendungsmöglichkeiten entstehen können. Das sind unglaubliche Umwälzungen. Dies zu steuern, ist die Herausforderung für Banken, und es gibt es nicht viele, die da für sich wirklich einen Plan gemacht haben.

Was gibt den Ausschlag, dieses Vorhaben dennoch anzugehen?

Es gibt verschiedene Treiber. Wenn Sie zum Beispiel die Niedrigzinsphase nehmen, dann kann doch für jede Bank der Rückschluss eigentlich nur lauten: Ich muss meine Kosten in den Griff kriegen und beziehungsweise oder mir Geschäftsmodelle suchen, mit denen ich noch Marge mache. Und da gibt es auch unheimlich tolle Beispiele, welche die Banken aber teilweise gar nicht verfolgen.

Welche sind das?

Wenn Sie sich vor Augen führen, dass eine Bank Zugriff auf Ihr Privatkunden-Girokonto hat und – mit Ihrer Einwilligung – genau verfolgen kann, welche Versorgungsdienstleister Sie etwa für Strom engagiert haben, dann kann Ihre Bank Ihnen vielleicht automatisiert ein besseres Angebot machen, wenn sie beispielsweise mit einem Vergleichsportal kooperiert. Wenn der Kunde dann durch meine Initiative als Bank den Stromanbieter wechselt, erziele ich mit einem Klick mehr Ertrag durch eine Provision, als ich in vielen Jahren durch das Girokonto am Kunden verdiene.

Dann drohen aber doch Loyalitätskonflikte.

Inwiefern?

Einer Bank wird der gute Draht zum Vergleichsportal dann irgendwann vielleicht wichtiger als der zum Kunden.

Das glaube ich nicht, denn es geht ja darum, das Banking von heute weiterzudenken und in den breiteren privaten Nutzungskontext des Kunden vorzudringen. Die Digitalisierung ist dafür ein Motor und ein Vehikel. In Ihrem privaten Kontext nutzen Sie bereits Portale, in die verschiedenste Dienstleistungen miteinander integriert sind – wenn Sie sich nur einmal Social Media anschauen. Banking aber ist immer noch ein isolierter, monolithisch bewirtschafteter Bereich. Da liegt Ihr Geld herum – und zwar mehr schlecht als recht momentan, denn wenn Sie ein bisschen mehr Geld auf Ihrem Konto haben, müssen Sie gegebenenfalls dafür noch bezahlen. Zugleich sind genügend Daten verfügbar, die Sie jeden Tag generieren, indem Sie konsumieren. Eine Bank muss ihr Geschäftsmodell einfach weiterentwickeln. Banken, die sich jetzt für Plattformlösungen entscheiden, gehen einen logischen Schritt. Denn sie erkennen, dass sie dem Kunden dadurch deutlichen Mehrwert bieten und ihn zugleich noch enger an die Kernmarke binden können. Und sie können auf einer Plattform Geschäftsmodelle integrieren und ausprobieren, die es vorher in ihrem Kerngeschäft gar nicht gab. Das ist, würde ich behaupten, ziemlich attraktiv.

Leider birgt Plattform-Banking das Risiko der Konzentration nach dem The-winner-takes-it-all-Prinzip. Kann man denn allen Banken guten Gewissens empfehlen, aufs Plattform-Banking zu setzen?

Ja und nein. Zum einen glaube ich, dass sich beinahe jede Bank dort ihre eigene Nische schaffen kann.

Die Apobank hat mit Univiva eine eigene B2B-Plattform gestartet. Sie agiert mit ihrem Fokus auf Ärzte und Apotheker allerdings ohnehin in einer Nische.

Es ist ein gutes Beispiel, wie eine Nischenbank, der man dies vielleicht nicht zugetraut hätte, für sich erkannt hat, dass das Plattformgeschäft für sie eine Zukunft bereithält. Das erfordert auch Mut und die Bereitschaft, sich mit der Zukunft der Bank konstruktiv auseinanderzusetzen. Zum anderen ergibt es aber natürlich keinen Sinn, wenn jede Bank beim gleichen Plattformanbieter die gleiche Plattform einkauft. Die wenigsten Institute bauen ihre Plattform ja komplett selbst. In der Regel kaufen sie diese bei namhaften Fintechs ein. Den eigenen Kunden noch einmal ganz anders zu binden, ist aber schon etwas, über das Banken nachdenken müssen, wenn man sieht, dass die Aufwandsquote bei den meisten Banken einfach noch immer viel zu hoch ist und die Erträge an vielen Ecken und Enden wegbrechen. Da muss ich mich allein als Unternehmer fragen, wie ich anderweitig Erträge generieren kann. Für mich ist das ein ganz klassischer Geschäftsmodellauftrag, den ich als Aufsichtsrat an den Vorstand delegieren würde: Bitte sichere unser Geschäftsmodell ab und sieh zu, dass wir auch in Zukunft Geld verdienen.

PSD2 führt ja ohnehin zur Öffnung der Datenbestände, so dass es Banken schwerfallen dürfte, auf ihren Daten sitzen zu bleiben, ohne befürchten zu müssen, dass Kunden abwandern.

Und in der Regel ist es doch so, dass ich als Kunde nicht nur über ein Konto verfüge, sondern über mehrere Konten, Depots und auch Lebensversicherungen. Es gibt also viele Zugänge zu Finanzprodukten, die momentan ungleich verteilt bei verschiedenen Anbietern liegen. Somit gibt es vielleicht doch einen The-winner-takes-it-all-Effekt, der gefährlich werden könnte.

Welchen?

Wenn jemand es schaffen sollte, all das auf eine Weise zu integrieren, dass man auf einen Blick eine Übersicht über den eigenen finanziellen Vermögensstand, auch etwa inklusive Immobilienbesitz, samt Cash-flow und Liquidität bekommen kann – und dies mit neuartigen Geschäftsmodellen kombiniert. Trotz Multi-Banking und vielfältigen PDS2-basierten Geschäftsmodellen gibt es so etwas noch nicht.

Warum?

Noch hat sich niemand der Sache in dieser Tiefe angenommen.

Kann das nicht Google übernehmen? Das Unternehmen weiß doch ohnehin alles.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die großen amerikanischen Unternehmen durchaus bereits über gewisse Lizenzen verfügen. Das muss nicht immer die vollwertige BaFin-Lizenz sein, sondern kann auch eine Lizenz aus dem EU-Raum sein, die leichter verfügbar ist, etwa aus dem Baltikum oder Luxemburg, die es ihnen ermöglicht, zum Beispiel im Zahlungsverkehr aktiv zu sein. Warum treten die großen US-amerikanischen Unternehmen oder auch das chinesische Alibaba nicht direkt in den deutschen Bankenmarkt ein? Weil sie nicht ganz auf den Kopf gefallen sind und wissen, dass sie mit ihrem Geschäftsmodell deutlich mehr verdienen als die deutschen Banken mit ihrem – und weil sie den regulatorischen Aufwand scheuen.

Also müssen Banken Big Tech nicht fürchten?

Ein offenes Geheimnis ist auch, dass bei den Banken die werthaltigsten Daten liegen. Die sind natürlich für Konzerne mit einem datenbasierten Geschäftsmodell hochattraktiv. Und eine deutsche Bank zu kaufen ist momentan so günstig wie noch nie zuvor. Es ist wohl kein Zufall, wenn etwa chinesische Unternehmen zu Mehrheitseignern bei deutschen Privatbanken werden. Die jeweiligen Frontends auf Basis einer guten Idee zu verheiraten, so dass Kunden zum Beispiel aus ihrem Google-Konto heraus nicht nur ihre Mails, sondern auch ihren Kontostand anschauen und gleichzeitig vielleicht noch tolle Angebote erhalten können – dieses Konzept liegt relativ nahe. Dem liegt auch zugrunde, dass der technologische Trend im Frontend weg von einzelnen Apps hin zu Plattformen geht, wie beispielsweise Wechat in China.

Wie viel Zeit sollten sich Banken für ihre Transformation nehmen, oder: Wie viel Zeit bleibt ihnen denn noch? Liest man Studien von Beratungshäusern, bekommt man ja den Eindruck, es ist eigentlich schon fünf nach zwölf.

Die Dystopien vieler Studien teile ich nicht. Die hören wir schon seit Jahren. Schon als der Terminus der Fintechs aufkam, hieß es, die Bankenbranche werde sterben. Nun stellen wir fest, dass die wertvollsten Fintechs wachsen, indem sie mit den Banken kooperieren. Mit Blick auf den idealen Zeitpunkt für den Start einer Transformation wiederum könnte man diabolisch sagen, die Banken hätten schon vor fünf Jahren anfangen sollen.

Haben sie ja auch: mit der Lernphase.

Korrekt. Tatsächlich hat es seither zwar Bewegung gegeben, aber im Grunde hat sich die Branche eher wenig verändert, was die am Markt aktiven Spieler angeht. Allerdings haben beispielsweise die Fintechs schon frischen Wind in die Bankenlandschaft gebracht.

Verändert haben sich vor allem die Aufwandsquoten und die Ergebnisse der etablierten Finanzdienstleister.

Deshalb ist es auch klar, dass es eine Marktkonzentration geben wird. Die hat man teilweise schon gesehen. Die Ursache dafür war bislang allerdings nicht die Digitalisierung, sondern primär die Auswirkung der EU-Politik, welche die Banken unter Druck gesetzt hat.

Durch Regulierung.

Sicherlich einer der Kerntreiber. Was wiederum gut ist, weil dies die Banken dazu gezwungen hat, sich ganz anders mit ihren Kosten auseinanderzusetzen, und zwar auch mit Hilfe von Automatisierung und Digitalisierung. Gleichwohl wird es schon in den nächsten fünf bis zehn Jahren relativ klar werden, wie sich Digitalisierung auswirken wird.

Warum?

Die technologischen Implikationen werden zusehends größer, zum Beispiel mit Blick auf künstliche Intelligenz: Heute kann man noch sagen, die Maschine ist dem Menschen nicht immer unbedingt überlegen beziehungsweise sie ist durch den Menschen beherrschbar. In fünf Jahren wird das ganz anders aussehen, wenn man sich einmal anschaut, mit welcher Power da entwickelt wird – nicht in Deutschland, sondern in China. Der Aktienhandel wird vielfach schon gar nicht mehr von Menschen gesteuert. Dennoch bin ich überzeugt, dass wir auch in fünf bis zehn Jahren noch von einer Industrie sprechen werden, in der es Banken gibt.

Führt für Institute im Zuge des Wandels ein Weg an agilen Arbeitsformen vorbei oder ist es nur ein Feigenblatt der Zukunftsfähigkeit, wenn Banken Bürowände einreißen und Teams zusammenlegen?

Agilität als Feigenblatt hinzuhängen hat den Nachteil, dass Banken, die sich dann mit ihren neuen Services in die Kernorganisation einklinken wollen, wieder auf das klassische Wasserfall-Diagramm treffen.

Die Commerzbank hat keine Schnittstellen ein-, sondern gleich die gesamte Zentrale entsprechend umgebaut. ING hat ebenfalls ihre Struktur auf agile Modelle ausgerichtet.

Warum geben sich diese Banken eine solche radikal neu gedachte, agile Struktur? Weil sie verstanden haben, dass es keinen Sinn macht, alle Teams auf Agilität zu schulen, zugleich aber an den klassischen Silos festzuhalten, an dem die agilen Teams dann abprallen.

Und wann haben agile Arbeitsformen keinen Sinn?

Wenn man glaubt, dass man ein Kernorganigramm eines Unternehmens in der klassischen Weise weiterführen kann. Denn das kann ja nur für Frustration sorgen: Sie schulen ganze Bereiche auf Agilität, die bringen Themen unglaublich schnell voran und scheitern dann an der Aufstellung, Entscheidungsprozessen und den Pfründen einer klassischen Organisation.

Was haben Banken gemein, die im Zuge der Digitalisierung auf der Strecke bleiben werden?

Gar nichts zu tun. Wer nicht selber versucht, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen, um Kosten zu senken und sich neue Erträge zu erschließen, wird über kurz oder lang per se Probleme bekommen.

Das Interview führte Bernd Neubacher.


Die kostenlose Veröffentlichung dieser Artikel aus der Börsen-Zeitung wird ermöglicht durch: